Dienstag, 7. Juli 2009

Charolais, Chablis und Chirac, der Schäferhund


"Comet", das lädierte kleine Hausboot, das im burgundischen Decize auf uns wartet, wird für die nächste Woche unser Zuhause sein. Auf dem Canal du Nivernais, wo einst die Floßschiffer Holzstämme beförderten, geht es nach Tannay, das 99 Kilometer und 72 Schleusen weiter nördlich liegt. Auf 16 Quadratmetern werden wir, zwei Frauen und Windhund Moritz, schlafen, kochen, essen, zähneputzen und duschen. Wir bringen in ungewohnter Enge den Inhalt dreier kleiner Koffer in eingebaute Schränkchen unter. Lektion Nummer eins: Wir müssen wissen, wo exakt was liegt. Suchaktionen sind der Harmonie an Bord abträglich! Zumal ja noch gearbeitet werden muß, denn wir müssen das Boot vorwärts bewegen. Dazu braucht es einen Menschen am Steuer und einen an den Tauen. Wir tuckern vorsichtig los und versuchen trotz widerspenstiger Steuerung das Boot geradezuhalten.

Das Nivernais, eine hügelige, waldreiche Region im Burgund, zeigt sich von der schönsten Seite. Rechts gähnt ein Weizenfeld, links stakst ein Fischreiher. Vor uns lauert die erste Schleuse. Wir sichten den Schleusenwärter, einen kräftig gebauten Monsieur mit mohnrotem Kopf: Er wird schon wissen, wie er uns durch dieses technische Wunderwerk der Schiffahrt bugsiert. Gas wegnehmen, mittig in die Schleuse einfahren, bremsen, Taue um die Poller legen — so steht es im Kapitänshandbuch.

Monsieur scheint zufrieden mit unserer Leistung. Er kurbelt schweigend an den Schleusentoren, das Wasser sprudelt und zischt und nach einer Weile schaukelt Comet eine Etage höher und wir fahren weiter. Mit der Zeit gewöhnen wir uns an die Schleusenwärter und schließen sie ein wenig in unsere Herzen: sie reden nicht viel, kommentieren höchstens den "dünnen Hund" oder die Hitze und gehen ansonsten stoisch ihrer Arbeit nach. Manche haben ihre Schleusenwärterhäuschen liebevoll dekoriert oder verkaufen nebenbei Obst und Gemüse. Und viele sind Frauen: eine Tradition im Burgund. Annie Letourneur zum Beispiel, Diensthabende an der Schleuse von Chaumigny, holt für uns ein Riesenbund knackiger Radieschen aus ihrem Garten.

In Cercy la Tour legen wir an diesem Abend an. Wir duschen sparsam (der Wassertank ist klein), ziehen uns wegen des knapp bemessenen Raums nacheinander um und gehen an Land auf Restaurantsuche. Ein Schäferhund läuft vor uns her, Moritz ihm nach und plötzlich stehen wir atemlos vor der Tür des Sternelokals Le Val d'Aron, wo der Chef uns lachend begrüßt: "Bonsoir Mesdames, hat mein Chirac wieder ein paar Bootsleute gebracht"? Schäferhund Chirac freut sich auf eine Extrawurst. Und die "Bootsleute" essen echt burgundisch: Weinbergschnecken, Froschschenkel (mußten sein, der Patron wäre sonst beleidigt gewesen) und geschmorte Ente. Moritz labt sich an Fasanenpastete und Evian-Wasser — die Küche scheut auch beim Haustier keine Extravaganzen. Bis auf wenige Ausnahmen stehen unsere abendlichen Ausflüge zu den Töpfen der Region im krassen Gegensatz zum bescheidenen Leben an Bord.

Am nächsten Morgen zuckelt Comet mit drei Knoten oder fünfeinhalb Stundenkilometern Bedächtigkeit dem Örtchen Châtillon en Bazois entgegen. Libellen umkreisen das Boot, von den Feldern schauen uns die weißen Charolais-Rinder nach. Sie haben gerade Junge bekommen, die im Burgund ein Jahr "sous la mère" — "unter der Mutter", wie es hier heißt, aufwachsen. Platanenalleen und Eichenwälder ziehen vorüber, Bussarde spähen auf uns herab. Schleuse folgt auf Schleuse. Gas wegnehmen, mittig einfahren, bremsen, Taue festmachen, warten, schweigen, weiterfahren.

Dann ein Schleusentunnel, "Les Voûtes de Collancelle": drei Tunnel reihen sich aneinander, wobei der längste 758 Meter lang ist, nichts für klaustrophobisch veranlagte. Eine Ampel zeigt Grün zur freien Einfahrt ins Ungewisse, irgendjemand im Burgund muß also wissen, daß wir unterwegs sind. Umhüllt von kühl-glitschigen Tunnelwänden echot Comets stotternder Motor tapfer vorwärts.

Als im Tal von Sardy die Sonne wieder auf uns herabscheint, blinzeln wir einigermaßen entsetzt in unsere Anleitung "Praktischer Führer des Jachtmannes": eine aus 16 Schleusen bestehende Schleusentreppe befindet sich unmittelbar vor uns! Den Rest des Tages verbringen wir bis zur totalen Erschöpfung mit Einfahren, Warten, Schweigen und Weiterfahren. Am Abend tauschen wir die Kunst burgundischer Köche gegen frühzeitigen bleischweren Schlaf ein.

Über Chaumot und Monceaux-le-Comte, wo heftige Gewitter über uns niedergehen, zockeln wir gemächlich zum Weindorf Tannay, wo wir in das reizende Hotel Le Relais Fleuri einchecken. Es tut gut, festen Boden unter den Füßen zu haben. Wir fühlen uns wie die Schwalben auf dem Marktplatz, die zur Musette aus dem Lautsprecher durch die Lüfte tanzen. Moritz bekommt vom Küchenchef Pasta mit Schweinefuß. Nachts träumen wir von Tunneln, Tauen und Schleusenwärterinnen. Mit dem Auto durchstreifen wir nun das Nivernais, das uns vom Boot aus verborgen blieb. Wir erkunden verzauberte Dörfer, scheinbar im Mittelalter versunken, und durchstreifen mit einem leibhaftigen Grafen dessen Schloß. Und erzählen stolz von unserer Reise mit dem alten Cometen.

Übernachten
Château de Marigny, 58160 Sauvigny les Bois (8 Kilometer von Nevers), Tel. 0033 (0) 3 86 90 98 49. Reizendes kleines Schloß mit nur drei Zimmern. DZ mit Frühstück ab 75 €, Hunde auf Anfrage. Unter deutscher Leitung. E-mail: belz.marigny@wanadoo.fr

Burgundische Küche
Le Val d'Aron, 5 rue des Ecoles, Cercy la Tour, Tel. 0033.386-50 59 66. Deftige Sterneküche unter Stilleben.

Hostellerie de la Poste, 9, place Emile Zola, Clamecy. Tel. 0033.386-27 01 55. Feine Fischgerichte und Magret de Canard. Hervorragende Auswahl an Chablis-Weinen.

Hausboote
Der Canal du Nivernais zwischen Decize und Clamecy ist von Ende März bis Anfang November befahrbar. Hausboote vermietet z.B. Crown Blue Line, www.crownblueline.com. Eine Woche ab 1300 €.