Mittwoch, 18. Januar 2012

Made in the USA


Auf dem Weg zur Erfüllung der eigenen Träume hat die amerikanische Zivilisation so manche Entdeckung gemacht, die wir Europäer gut zu kennen meinen. Oder deren Entdeckung wir gar auf unsere eigenen Fahnen heften. Aber wissen wir wirklich, wo die erste Hauswand mit Graffiti bemalt wurde und wo die Kunst des Small Talk ihren Anfang nahm?

Wer New Yorker verstehen will, sollte sich ein wenig mit Psychotherapie auskennen. Gespräche über den jeweiligen Geisteszustand und die gerade begonnene Therapie sind Gegenstand alltäglicher Konversation. Doch trotz, oder wegen?, so viel Therapie: New York ist die Stadt der Floskeln. "Talk to you later", "See ya" und "I'll get back to you" sind hier so bedeutungslos wie nirgendwo in den USA. Andererseits sind New Yorker die einzigen Amerikaner, die öffentlich über Sex reden. Und noch eine New Yorker Eigenschaft, mit großer Hingabe gepflegt: "Grab a bite" — einen Happen auf die Schnelle. An jeder Straßenecke wird Street Food angeboten: Hot dogs, Sandwiches, kleine Imbisse. Und dann: "Munch on the run" — ihr Essen im Gehen zu verschlingen ist für New Yorker kein Problem. Danach dann noch schnell einen „Coffee to go“ und schon geht‘s zurück in‘s Büro.

Anfang der Neunziger kamen die Baggy Pants aus Philadelphia nach Europa. Ihren Ursprung haben sie in Gefängnissen, wo den Insassen zur Verhinderung von Selbstmordversuchen Gürtel und Schnürsenkel abgenommen wurden, sodass die Hosen zwangsläufig tief hängen mussten. Wurden sie entlassen behielten sie die Hosen einfach an, und so hielt die Knastmode ihren Einzug in die Kultur des Rap, der in der Clubszene von Philadelphia entstand. Auch die Graffiti-Kunst hat in Philadelphia ihren Ursprung: Hier begannen Jugendliche, ihre Pseudonyme auf Wänden zu hinterlassen. Die hinterlassenen Kunstwerke, sogenannte “Tags”, bildeten den Grundstein des sogenannten Graffiti-Writing.

Jeder Amerikaner ist baseballverrückt. Das Spiel hieß zunächst "Town-Ball" und wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts insbesondere an der Ostküste der Vereinigten Staaten bekannt. Aufgrund seiner regionalen Herkunft wurde "Town-Ball" auch "Massachusetts-Game" genannt. Im Zuge einer grundlegenen Veränderung der Spielregeln wandelte man das Baseballfeld in das "diamantförmige" Infield um und das Spiel erhielt die Bezeichnung "New York Game". 1846 fand das erste offizielle Baseballmatch zwischen den "New York Knickerbockers" und den "New York Nine" statt.

Die schönsten Ecken von Boston sind prima zu Fuß zu erkunden. Am Faneuil Hall Marketplace kann man mit einem Frühstück beginnen und sich dabei von den Straßenkünstlern unterhalten lassen. Die Händler bieten Spezialitäten aus vielen Ländern an, darunter französische Croissants und die traditionelle New England Clamshowder, eine Muschelsuppe. Die Zutaten für diese feinsämige Suppe, die einem Eintopf ähnelt, sind Venusmuscheln, Speck, Kartoffeln, Zwiebeln, Gemüse sowie Gewürze und Kräuter je nach Geschmack. Julia Child, die Erfinderin des Fernsehkochens und amerikanische Food-Ikone, bestand darauf, in ihre Clam Chowder kurz vor dem Servieren noch einen Viertelliter Schlagsahne zu geben. Nicht nur dieser verschwenderischen Genialität hat sie es zu verdanken, daß sie auf dem Cover des Time-Magazine abgebildet war. Ihre berühmte TV-Küche in Cambridge, in der sie den Amerikanern per TV Appetit auf Selbstgekochtes machte, kann heute im „Smithsonian National Museum of American History“ in Washington besichtigt werden.

Bereits 1636 wurde in Cambridge die private Eliteuniversität Harvard gegründet. Aus den puritanischen Wurzeln der frühen Siedler wuchs eine konservative Elite heran, die noch heute das gesellschaftliche Geschehen in den USA bestimmt. Eine enge Zusammenarbeit pflegt die Harvard Universität mit dem renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT). An diesem „Think-Tank“ verband sich der freie Geist der Hippies mit dem unternehmerischen Drive der Yuppies. Erfunden wurde hier z. B. die automatische Raumsondensteuerung des Apollo-Programms. Auch der Begriff „Hacker“ wurde am MIT geprägt. Die hohe informatische Kunst des Eindringens in ein Computernetzwerk hat ihre Wurzeln am MIT der 50er und 60er Jahre. Hier bereiten die führenden Köpfe des Landes ihre Studierenden, u.a. mittels Vorlesungen via Internet, auf große Aufgaben vor. Die Bandbreite der Lehrenden ist groß und reicht von Tim Berners-Lee, dem Erfinder des World Wide Web, über den Intellektuellen Linguistiker Noam Chomsky bis zu etlichen Nobelpreisträgern wie Kofi Annan.

Der Genetik-Pionier Victor McKusick arbeitete als Professor für medizinische Genetik am Johns Hopkins Krankenhaus in Baltimore. Er trug maßgeblich dazu bei, das menschliche Genom zu entschlüsseln und zu kartieren. Auch in hohem Alter gab McKusick seine Leidenschaft für die Forschung nicht auf: Jeden Sommer gab er gemeinsam mit Kollegen einen zweiwöchigen Genetikkurs in Bar Harbor. Die Fortbildung war sehr begehrt: Mehr als 4000 Studenten, Ärzte und Wissenschaftler folgten jedes Jahr gebannt den Ausführungen des 2008 im Alter von 86 Jahren verstorbenen Forschers.

Was die Mode angeht, ist die traditionelle Sportswear-Linie von Ralph Lauren repräsentativ für die Verschmelzung von klassisch-britischer Ostküsten-Kultiviertheit mit selbstbewußter Privatschulen-Lässigkeit. Die Kleidung mit dem eingestickten kleinen Polospieler sieht „cool“, also souverän und ungezwungen, aus. „Cool“ ist eines dieser Worte, ohne das die deutsche Sprache nicht mehr auszukommen scheint, seitdem es an der Ostküste der USA geprägt wurde. Übrigens: 'Cool' sind die Amerikaner fast immer, egal wo.